Brevet 200 km ARA Mittelhessen

Die Vorfreude ist genauso groß wie vor 2 Wochen auf den 200er in Treuchtlingen. Ich bin froh, dass ich diesmal nur eine relativ kurze Anreise von 60 Minuten habe. Das ist in Randonneurs Kreisen vermutlich Luxus, denn nicht wenige der Langstreckenradfahrer reisen bereits für den 200er von weit her an.

Ich weiß, dass man ziemlich genau eine Stunde mit dem Auto bis nach Gießen benötigt und mir ist bekannt, dass erst ab 7 Uhr jemand in Gießen vor Ort sein wird, um das Gebäude zu öffnen und die Startunterlagen auszugeben. Dennoch fahre ich bereits um 5:45 Uhr von zu Hause los. Es könnte ja etwas dazwischen kommen und ich bin halt gern früh vor Ort. Und tatsächlich, ich komme um 6:45 Uhr an der TH Mittelhessen am Gebäude C21 in der Moltkestraße an, ergattere einen der wenigen Parkplätze direkt vorm Eingang, der wie erwartet noch verschlossen ist. Ich bin der Erste und das nicht zum ersten Mal bei einer Sportveranstaltung.

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Wenige Minuten später treffen Christian ( Veranstalter) und zwei Damen ein, die, wie sich später rausstellt, für die Organisation verantwortlich sind. Sie empfangen mich freundlich und bieten mir Kaffee an. Zwar ist es die erste Veranstaltung am neuen Brevet Standort „ARA Mittelhessen“, aber ich habe den Eindruck, dass hier ein erfahrenes Randonneurs-Team die Veranstaltung ausrichtet.

Nach und nach trudeln weitere Teilnehmer und Teilnehmerinnen ein, zwar wesentlich weniger als vor zwei Wochen beim 200er in Treuchtlingen, aber immerhin doch ca. 30 Randonneure, die sich teilweise, wie ich raushöre, von anderen Brevets bereits kennen. Die Atmosphäre ist locker und entspannt. Nachdem in der Runde jemand anmerkt, dass ein s.g. „Imi“ den Track im Rennradforum gepostet hat, oute ich mich als dieser.

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Ich schlürfe meinen Kaffee und mache mich anschließend startklar. Bis auf ein paar Kleinigkeiten habe ich wieder fast alles wie in Treuchtlingen an Bord, nur das Akku-Frontlicht mit dem schweren Akku blieb zu Hause. Der ein oder andere, der mein sportliches Teiben und meinen Blog verfolgt, macht sich schon mal lustig über das viele Gepäck am Rad und gibt sogar nützliche Tipps, wie sich die Ausrüstung z.B. mittels Trolley oder Anhänger erweitern lässt, wenn die Kapazität der montierten Taschen am Rad mal erschöpft sein sollte.

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Ich hatte noch nie, toi toi toi, einen Platten seit ich Rennrad fahre, und gestürzt, so dass ein Erste Hilfe Set notwendig gewesen wäre, bin ich Gott sei Dank bisher auch noch nicht. Ein Ersatzhandy mit alternativem Netzbetreiber war bisher genauso überflüssig wie das Mitführen eines Handys überhaupt, außer zum Fotografieren natürlich. Und daran, dass es trotz Null Prozent Niederschlagswahrscheinlichkeit in der Vergangenheit mal in Strömen geregnet hat, kann ich mich ebenfalls nicht erinnern, auch nicht, dass ich ohne mitgeführte Verpflegung unterwegs verhungert oder verdurstet wäre. Wenn ich all das berücksichtige und zurückdenke, hätte ich von dem was ich an Bord hatte, nahezu nichts mitnehmen müssen. Nur der 22000 mAh Akku kam zum Einsatz, weil mein Edge bereits nach 6 Stunden nur noch 20% Restkapazität hatte. Da ich aber gern auf Nummer sicher gehe und nahezu immer allein unterwegs bin, möchte ich für alle Fälle gerüstet sein, so auch diesmal und in Zukunft.

Zehn Minuten bevor es losgeht, schalte ich meinen Edge ein und lade die Strecke bzw. versuche sie zu laden. Funktioniert nicht, Mist! Das Display friert ein und das auch nach unzähligen weiteren Versuchen. Aus- und Einschalten hilft nichts, na herzlichen Glückwunsch. Da mache ich mir schon die Arbeit, den Track zu erstellen, stelle ihn der Öffentlichkeit zur Verfügung und ausgerechnet bei mir streikt die Technik. Egal, ich bleibe gelassen und starte den Edge ohne Track, schließlich habe ich ja ein Roadbook und während der ersten Kilometer kann ich mit den anderen mitrollen, danach finde ich mich schon irgendwie zurecht.

Kurz bevor es los geht, gibt Christian noch ein paar Hinweise zur Stecke und eine der beiden Damen macht noch ein Gruppenfoto. Ich sortiere mich beim Start wieder ganz hinten ein und da bleibe ich vorerst.

Das gesamte Feld wirkt auf mich noch relaxter als in Treuchtlingen und auch das Tempo ist gemächlicher. Durch Gießen rollen wir noch gemeinsam, danach splitten sich nach und nach kleine Grüppchen ab. Ich orientiere mich zunächst an Christian und fahre erst nach etwa 20 Kilometer etwas zügiger, überhole hier und da und schließe irgendwann zu einer kleinen Gruppe auf. Auf einem serpentinenartigen Abschnitt rollt ein LKW auf uns auf und kann nicht überholen, u.a. auch deshalb nicht, weil die vorderen beiden der Gruppe permanent nebeneinander fahren und die komplette Straßenhälfte vereinnahmen. Ich spüre den LKW förmlich in meinem Nacken und auch, dass dessen Fahrer vermutlich vor Wut schäumt, zu Recht in diesem Falle. Solche Situationen tragen sicher nicht dazu bei, dass Autofahrer uns Radfahrer auf den Straßen respektieren und entsprechend umsichtig fahren. Nach gefühlter Ewigkeit zieht der LKW hupend an uns und dem immer noch nebeneinander rollenden Zweier-Gespann vorbei. Ich empfinde das Verhalten der beiden als rücksichtslos und setze mich von der Gruppe ab. Auf „Fremdschämen“ habe ich keine Lust!

Nun genieße ich erstmal das Alleinfahren und nutze den Rückenwind, um etwas Tempo zu machen. Herrlich, wie ich mit über 40 km/h über den Asphalt brettere. Kurze Zeit später hole ich eine 3er Gruppe ein und bestaune die extrem muskulösen Waden, die vor mir mit hoher Trittfrequenz pedalieren. Es sind die Beine einer Randonneurin, die mich ziemlich beeindrucken. Noch noch nie zuvor  habe ich eine Frau mit solchen Muskelbergen an den Unterschenkeln gesehen. Wir bleiben bis kurz hinter Wallau bei ca. Kilometer 60 zusammen, danach fahre ich allein weiter, hinein ins heimische Revier zur ersten Kontrollstelle.

In Hatzfeld hole ich mir an der Esso Tankstelle meinen ersten Stempel und treffe dort die beiden wieder, mit denen ich mich bereits vorm Start nett unterhalten hatte.

Ich probiere nochmal, den Track zu laden und siehe da, jetzt funktioniert es. Kurz verpflegt, dann fahre ich zunächst gemeinsam mit den beiden weiter, doch nach wenigen Kilometern lassen sie abreißen, schade, denn sie waren mir auf Anhieb sympathisch. Aber genau das ist es, was mir an Brevets gefällt, zwangloses Fahren ohne feste Bindung an irgendjemanden.

Nach 79 km, kurz vor Wollmar, überhole ich einen einzelnen Randonneur, der meinen Gruß nur mürrisch, fast genervt erwidert. Schon interessant wie unterschiedlich die Charaktere so sind.

Ich freue mich, dass die Strecke durch mein Revier und nur 15 Kilometer an meiner Haustüre vorbeiführt. Es hat so was Vertrautes. (Blick auf Rosenthal)

   
 Weit und breit sehe ich nun keinen der Mitstreiter mehr, erst wieder kurz vor Treysa bei Kilometer 137. Ich überhole einen am Straßenrand stehenden und telefonierenden Randonneur, der mich wiederum kurze Zeit später überholt, als ich mal für kleine Jungs muss und ihn dann von hinten fotografiere.

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Ich schließe wieder zu ihm auf, halte aber bis zun Ortseingang Schwalmstadt-Treysa einen relativ großen Abstand ein. Erst als ich erkenne, dass der Randonneurskollege im Kreisel falsch abzubiegen droht, rufe ich und fahre bis zur nächsten Kontrolle – eine Bft Tankstelle – voraus. Auch er ist ein netter Kerl, mit dem ich an der „Tanke“ sofort ins Gespräch komme. Da ich noch reichlich Treibstoff an Bord habe, hole ich mir nur meinen Stempel ab, entsorge meinen Verpackungsmüll und radle weiter.

In der Ferne sehe ich eine 3er Gruppe, die irgendwann wieder meinem Sichtfeld entschwindet, vermutlich weil zu schnell und weil ich während der nächsten 15 km drei mal eine Abzweigung verpasse. Dank Streckenabweichungswarnung meines Edge registriere ich das jedes mal nach wenigen Metern und korrigiere entsprechend. Verpasst hätte ich u.a. fast die schöne Rampe hoch nach Arnsheim mit über 10% Steigung. Oben angekommen halte ich kurz an, schieße ein paar Fotos und nehme einen Schluck aus der Pulle, während ein anderer Randonneur sich den Berg hochkurbelt und an mir vorbeizieht.

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Die Landschaft gefällt mir auf diesem Streckenabschnitt besonders gut, aber auch ansonsten ist die Strecke landschaftlich schön gelegen und gut zu fahren. Es ist zwar ein permanentes Auf und Ab, unzählige Schweinebuckel sind aneinander gereiht, aber ich bin solches Terrain gewöhnt und weiß wie ich mir die Kräfte entsprechend einzuteilen habe. Und das funktioniert mittlerweile auch ohne den Blick auf mein Powermeter, was mir ohnehin nichts genützt hätte, denn irgendwann stand nur noch eine Null auf dem Display. Sch..ß Technik sage ich da nur!

Ein Stück des Weges zwischen Arnsheim und der dritten Kontrollstelle radle ich gemeinsam mit einem erfahrenen Randonneur, mit dem, der mich in Arnsheim überholt hat, der auch ohne GPS Track perfekt gemäß Roadbook navigierte und mir die Richtungswechsel rechtzeitig per Hand anzeigte.

Nach mittlerweile über 2000 Höhenmetern in den Beinen lasse ich mir meinen dritten Stempel in Nieder-Gemünden in einem teegut Supermarkt in die Brevet Karte drücken. Ich gönne mir noch eine kalte Cola als Treibstoff für die restlichen 35 Kilometer, düse anschließend weiter und hoffe die Kontrollzange zu finden.

Hätte ich nicht bereits vor 2 Wochen mein Brevet Debüt bei Karl gehabt und dort gelernt, was eine Kontrollzange ist, so hätte ich hier meine Mühe gehabt, diese zu finden. Erst nach kurzem Suchen identifizierte ich ein kleines rundes Plastikteil – mit Kabelbindern an einem Zaun befestigt – als Kontrollzange. Ich lege meine Karte in dessen Schlitz, drücke fest, es knackt und ich bestaune zufrieden den kleinen Froschabdruck im Kontrollfeld. Zumindest sah es ohne Brille wie ein Frosch aus.

Ich brauche eine Gleitsicht-Radbrille!

Ich bin erleichtert, es ist fast geschafft und ich rolle gut gelaunt die letzten 15 Kilometer zurück nach Gießen, wo ich mit Kaffee, Kuchen und belegten Brötchen von den beiden Damen empfangen werde. Enige schnelle Jungs haben die Füße bereits hoch gelegt und lassen es sich gut schmecken.

Tolle Veranstaltung, nette Menschen, Danke an Christian und die beiden Damen!

Bike : 202 km | + 2377 Hm | 8:37 h | 23,4 km/h
(Brutto 9:22 h)

  

 

2 Kommentare

  1. So gefällt mir das! Du bist schon jetzt ein richtiger Randonneur! Und Deine Bemerkung zu den nebeneinander her fahrenden Hindernissen finde ich absolut richtig. Nur wer rücksichtsvoll unterwegs ist, kann auch von anderen Rücksicht einfordern.

  2. prima Bericht – ich hatte auch mit dem Gedanken gespielt in Gießen zu fahren (wohne sogar noch näher dran), aber die 200km habe ich noch nicht drauf. Vielleicht gibt es ja dieses Jahr noch mal einen 200er 🙂 – wenn nicht, dann nächstes Jahr.

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